2016
Freigabe und übertragende Sanierung innerhalb der Familie: „ein Pyrrhus-Sieg ?
Die häufigsten Ursachen für die Insolvenz kleinerer Unternehmen sind Fehler der Geschäftsführung bzw. der Inhaber (1). Um diese Unternehmen zu sanieren, bedarf es der Feststellung der Insolvenzursachen, d.h. der Fehler, die die Geschäftsführung gemacht und die zur Insolvenz geführt haben. Hieraus müssen Rückschlüsse gezogen werden, d.h. aus diesen Fehlern muss gelernt werden, um sie zukünftig zu vermeiden.
Wenn die Geschäftsführung vor und nach der Insolvenz die gleiche Person oder der gleiche Personenkreis ist, handelt es sich bei dieser Fehleranalyse um eine – zurückhaltend formuliert – anspruchsvolle Aufgabe.
Denn
- ein Insolvenzschuldner gesteht sich Fehler ungern ein. Das liegt u.a. an dem psychischen Mechanismus, festgestellt von Leon Festinger in seiner Theorie der kognitiven Dissonanz. Sie besagt, dass wir Menschen den Wunsch nach gedanklicher Harmonie haben und infolge dessen unangenehme Neuigkeiten missachten und/oder neue angenehme Gedanken entwickeln; (2)
- der (Steuer-)Berater des Insolvenzschuldners hat zugleich die Scheu, zum Thema der Fehler seines Mandanten deutlich zu werden, weil er mit ihm über eine zumeist längere Zeit der Berufsausübung persönlich verbunden ist und von ihm bezahlt wird;
- letztendlich wird jeder Schritt, mit dem eine unternehmerische Tätigkeit aus einer Insolvenzsituation gelöst wird, von den übrigen Beteiligten als positiv bewertet. Beispielhaft zu erwähnen sind die Mitarbeiter, die froh sind, wieder einen „insolvenzfreien“ Arbeitgeber zu geben. Gleiches gilt für weitere Gläubiger, wie Lieferanten und Vermieter.
Damit stellt sich die Frage, wer setzt sich in dieser Situation mit der Analyse der Insolvenzursachen und der Liquiditäts- und Ertragsplanung der neuen unternehmerischen Einheit (nach Freigabe oder übertragende Sanierung) in der Familie auseinander?
Freigabe der beruflichen Tätigkeit:
Um eine Insolvenzmasse vor den defizitären Folgen der Geschäftstätigkeit eines Einzelunternehmens schützen zu können und auf der anderen Seite einem Insolvenzschuldner die Möglichkeit zu geben, unabhängig vom Insolvenzverwalter während des Insolvenzverfahrens auf der bisherigen wirtschaftlichen Grundlage weiter selbständig tätig sein zu können, gibt es die Möglichkeit der Freigabe der unternehmerischen Berufsausübung nach § 35 Abs. 2 InsO.
Eine der häufigen Fragen von selbständig Tätigen vor einem Insolvenzantrag lautet: Kann der Insolvenzverwalter meinen Betrieb schließen? Ist sichergestellt, dass ich auch nach einer Insolvenzeröffnung weiterhin mit meiner selbständigen Tätigkeit den Lebensunterhalt für mich und meine Familie verdienen kann? Wenn diese Fragen mit ja beantworten werden, ist der fragende Insolvenzschuldner - erst einmal -zufrieden.
Denn sein berufliches Leben erfährt infolge der Freigabe keine großen Änderungen. Damit können auch die Fragen nach den Ursachen für die Insolvenz und die der eigenen Verantwortung dafür von ihm in den Hintergrund geschoben werden.
Der Insolvenzverwalter hat im Interesse der Gläubiger zu handeln. Eine Freigabe eines Einzelunternehmens, das maximal Erlöse in Höhe der Pfändungsfreigrenzen erwirtschaftet, führt für die Insolvenzmasse zu einer geringeren Belastung und einer Risikoverringerung. Diese Risikobegrenzung betrifft aber nur die Gläubiger, die es sich aussuchen können, ob sie zukünftig mit dem Insolvenzschuldner im Zuge seiner frei gegebenen beruflichen Tätigkeit zusammenarbeiten möchten oder nicht und damit diese ggf. auch beenden oder gar nicht erst beginnen.
Für die sogenannten erzwungenen Gläubiger, wie Sozialversicherungen und Finanzbehörden, hat die Freigabe einer selbständigen Tätigkeit nur dann einen positiven Effekt, wenn das freigegebene Einzelunternehmen zukünftig auch zahlungsfähig sein wird. Sonst ist die Freigabe für diese erzwungenen Gläubiger bereits ein Pyrrhussieg, zu dem sie durch eigenes Handeln gar nicht beigetragen haben und auch gar nicht beitragen konnten. Es kommt diesen erzwungenen Gläubigern also nicht auf den kurzfristigen Erfolg an, sondern auf den längeren Zeitraum, der auch die berufliche Tätigkeit nach Freigabe mit umfasst. Damit stellen sich die bereits vorerwähnten Fragen: Gab es Sanierungsmassnahmen? Gibt es eine Ertrags- und Liquiditätsplanung für diese frei gegebene Unternehmung?
Die Freigabe ist im Hinblick auf den Liquiditätsbedarf als eine Neugründung zu bewerten. Es ist zu planen, aus welchen finanziellen Mitteln die laufenden Betriebskosten bedient werden, bis die ersten Kundenzahlungen nach Ablauf der gewährten Zahlungsziele auf dem Konto des frei gegebenen Unternehmens eingehen. Wer macht die Insolvenzschuldner hierauf aufmerksam? Zumeist niemand.
Erschwerend hinzu kommt die Folge des Insolvenzeröffnungsverfahrens, in dem der vorläufige Insolvenzverwalter – berechtigterweise – nicht alle anfallenden Ausgaben beglichen hat. Dies wiederum hat zur Folge, dass sich nach der Freigabe, die zumeist zeitgleich mit der Insolvenzeröffnung erfolgt, Gläubiger wie Leasinggeber und Vermieter an den Insolvenzschuldner wenden und diesen unter Druck setzen, aus der Zeit des Insolvenzeröffnungsverfahrens offen gebliebene Zahlungen zu leisten. Die Insolvenzschuldner sehen sich diesem für sie unerwarteten Druck ausgesetzt und begleichen im Zweifel diese Insolvenzforderungen. Hierdurch verschlechtert sich die Liquiditätslage des frei gegebenen Unternehmens (weiter).
Übertragende Sanierung
Der Wunsch auf Insolvenzschuldnerseite, die berufliche Tätigkeit weiter auszuüben, kann neben einer Freigabe in anderen Fallkonstellationen auch durch eine übertragende Sanierung umgesetzt werden. Da in kleineren Unternehmen die wirtschaftliche Existenz der Firma in Folge der primär erbrachten Arbeitskraft des Inhabers/Geschäftsführers und/oder seiner Kundenkontakte vom Inhaber abhängt, scheidet eine übertragende Sanierung an Dritte zumeist aus.
Nicht ungewöhnlich ist es, dass in derartigen Situationen sodann auf Seiten der Insolvenzschuldner auf die Familie zurückgegriffen wird. Der Insolvenzverwalter verkauft im Zuge dessen an ein Familienmitglied des Insolvenzschuldners die zur Insolvenzmasse gehörenden Vermögenswerte. Faktisch bleibt dabei oft alles beim Alten: Der Insolvenzschuldner führt nach der übertragenden Sanierung auch weiterhin die Geschäfte.
Auch in dieser Konstellation stellen sich die Fragen: Sind die Insolvenzursachen analysiert worden? Hat es Sanierungsmaßnahmen gegeben? Gibt es für die neue Gesellschaft eine Ertrags- und Liquiditätsplanung? Wie bereits zur Betriebsfreigabe ausgeführt, ist auch die übertragende Sanierung der Start eines neuen Unternehmens – mit dem damit verbundenen Liquiditätsbedarf, insbesondere für die Anfangszeit dieser Unternehmung. Auch hier stellt sich die Situation so dar, dass alle Ausgaben sofort fällig sind. Denn infolge der Vorinsolvenz ist die neue Unternehmung nicht kreditwürdig und erhält Leistungen nur gegen Vorkasse oder Zug um Zug. Die Drittschuldner zahlen dagegen erst mit den vereinbarten Zahlungszielen. Ein Kreditbedarf ist demzufolge erforderlich. Dieser muss vor Beginn der Geschäftstätigkeit der neuen Unternehmenseinheit beziffert werden und zur Verfügung stehen.
An dieser Stelle ist auf die Entscheidungsgründe in der ständigen Rechtsprechung des BGH (3) zur Sittenwidrigkeit von Ehegattenbürgschaften zu verweisen und hieraus auszugsweise zu zitieren:
„… wenn der Hauptschuldner dem Mithaftenden persönlich besonders nahe steht, wie dies im Verhältnis zwischen Ehegatten und damit auch hier der Fall ist. Dann kann nach der allgemeinen Lebenserfahrung davon ausgegangen werden, dass der Mithaftende die ihn vielleicht bis an das Lebensende übermäßig finanziell belastende Personalsicherheit allein aus emotionaler Verbundenheit mit dem Hauptschuldner gestellt … hat.“
Auf den Fall der übertragenden Sanierung auf Familienangehörige bedeutet diese lebensnahe und zutreffende Einschätzung des Bundesgerichtshofes: Auch hier wird allein aus emotionaler Verbundenheit mit dem Insolvenzschuldner gehandelt. Wirtschaftliche Erwägungen spielen bei der Zustimmung des Familienmitgliedes, die Unternehmung im Zuge der übertragenden Sanierung vom Insolvenzverwalter zu erwerben, keine bis eine sehr untergeordnete Rolle. Vom Erwerber wird daher niemand erwarten können, dass dieser die notwendige betriebswirtschaftliche Planung vorgenommen hat.
Was ist in, bzw. besser vor, diesen soeben beschriebenen Situationen zu tun?
- Nicht kurzfristig, sondern langfristig denken.
Wie vorstehend ausgeführt, gibt es genügend Gründe, für alle Beteiligten, sich für eine Freigabe oder übertragende Sanierung im Familienkreis auszusprechen, bzw. diese zu befürworten. Es ist auf der anderen Seite aber niemandem damit geholfen, wenn diese frei gegebene betriebliche Tätigkeit erneut in die Insolvenz fällt und damit
- der Insolvenzschuldner Verbindlichkeiten ausgesetzt ist, hinsichtlich derer ihm erst 10 Jahre nach einer zuvor möglichen Restschuldbefreiung eine erneute Restschuldbefreiung möglich ist
- und seine Gläubiger einen erneuten Forderungsausfall in einem (zweiten) Insolvenzverfahren zu verkraften haben.
Langfristiges Denken bedeutet an dieser Stelle, zu planen, ob die zukünftige Unternehmenseinheit wirtschaftlich überlebensfähig ist, d.h. Erträge erwirtschaftet und über eine ausreichende Liquidität verfügt. Diesen mittel- bis langfristigen Überlegungen ist der Vorzug zu geben, gegenüber mit einer Freigabe/übertragenden Sanierung verbundenen positiven Gedanken, die allein kurzfristiger Natur sind.
- Offenheit
Es braucht hierfür eine Offenheit und damit jemanden, der die relevanten Themen der wirtschaftlichen Überlebensfähigkeit der „neuen“ Unternehmenseinheit anspricht.
Diese Aufgabe wird man vom Insolvenzschuldner in der Krisensituation, in der er sich wirtschaftlich und persönlich befindet, nicht erwarten können. Dem Insolvenzschuldner ist aus seiner emotionalen Sicht damit geholfen, wenn im Zuge der von ihm empfundenen zwangsweisen Veränderungen so viel wie möglich erhalten bleibt. Im frei gegebenen Betrieb oder in einer neuen Unternehmung nach übertragende Sanierung weiter der bisherigen beruflichen Tätigkeit nachzugehen, gibt ihm ein Gefühl einer gewissen Sicherheit und die Empfindung, den Folgen der Insolvenz nicht vollständig ohnmächtig gegenüberzustehen. Da die berufliche Tätigkeit fortgesetzt werden kann, muss er sich zwangsweise auch nicht mit der Frage von Fehlern aus der Vergangenheit - für ihn oft verbunden mit dem Aspekt der Schuld - auseinandersetzen.
Kurz zusammengefasst: Der Insolvenzschuldner in kleineren Unternehmen ist tendenziell nicht die geeignete Person für die Analyse von Insolvenzursachen und für die für die Zukunft zu erstellende betriebswirtschaftliche Planungen.
Aufgrund dessen ist einem Insolvenzschuldner zu raten, sich in der Situation der Insolvenz einen - neuen - externen Berater zu suchen, der die relevanten Themen offen anspricht.
- Selbsterkenntnis anstelle von Ratschlägen
Steuerberater und Rechtsanwälte werden als Experten um ihren Rat gefragt. Dieser kann hinsichtlich einer beabsichtigten Betriebsfortführung nach einer Insolvenz lauten: „Schauen Sie sich die von mir erstellten Zahlen einmal an. Bei diesem zu erwartenden Defizit können Sie den Betrieb nur schließen.“ Die Erwartung, dass sich der Insolvenzschuldner diesem Rat anschließt, ist zumindest fraglich.
Woran liegt dies?
Ratschläge sind auch Schläge. Indem wir anderen Ratschläge erteilen, verletzen wir sie. Denn mit einem Ratschlag wird indirekt auch immer zum Ausdruck gebracht, dass meine Annahme der Realität und meine Wahrnehmung besser ist als deine (4).
Und wir Menschen sind von unserem Freiheitsdrang geprägt. Wir holen uns das zurück, was uns genommen wird. Auf den Rat, den Betrieb zu schließen, folgt danach also der Drang, sich die Freiheit zu nehmen, weiterhin mit diesem selbstständig tätig zu sein.
Infolge dessen ist es nicht unwahrscheinlich, dass der Rat eines externen Beraters, einen Geschäftsbetrieb zu schließen, verhallt.
Die Alternative zu Ratschlägen ist es, dem Mandanten wertungsfrei zuzuhören und sein Anliegen und seine Sicht der Welt zu verstehen. Verstehen ist dabei nicht gleichzusetzen mit akzeptieren. In diesem bewertungsfreien Raum kann der Mandant/Insolvenzschuldner gebeten werden, selbst Analysen zur wirtschaftlichen Situation der Unternehmung vorzunehmen und selbst die notwendigen Berechnungen zur Liquiditäts- und Ertragslage zu erstellen.
Und eine hieraus resultierende Frage an den Schuldner kann sodann lauten: „Stellen Sie sich vor, ein guter Freund erzählt Ihnen von seiner Unternehmungsgründung und aus Ihren weiteren Nachfragen stellt sich heraus, dass er die fälligen Lieferantenverbindlichkeiten nicht bezahlen können wird. Was würden Sie diesem guten Freund raten?“
Auf diesem Wege des Perspektivwechsels kann der Insolvenzschuldner eine von ihm selbst erarbeitete Antwort im Hinblick auf seine zukünftige Geschäftstätigkeit finden. Es kommt also bei aller Offenheit und notwendigen Analyse auch immer auf das „Wie“ an, d..h. wie Themen angesprochen und Lösungen gefunden werden. Dieser Umstand ist in der Situation der Krise, in der sich ein Insolvenzschuldner befindet, von erheblicher Bedeutung.
Und wenn auf diesem Wege eine wirtschaftliche sinnvolle Lösung für das „Ob“ und „Wie“ einer Freigabe oder übertragende Sanierung gefunden wird, muss keiner der Beteiligten das aussprechen, was Pyrrhos I. nach seinem Sieg über die Römer in der Schlacht von Asculum gesagt haben soll: „Noch so ein Sieg, und wir sind verloren (5).“
Carsten Lange
Wirtschaftsmediator und Coach, Fachanwalt für Insolvenzrecht
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- Euler Hermes, Ursachen von Insolvenzen, S. 21.
- Dr. Kitz/Dr. Tusch Psycho? Logisch, S. 68.
- BGH Z 156, 302, 307.
- Dr. Kitz/Dr. Tusch Psycho? Logisch!, Rz. 96).
- https://de.wikipedia.org/wiki/Pyrrhussieg